Wie viel Aktivität benötigt mein Hund?

Da gibt es den muskulösen, kräftigen Vizsla-Rüde, der lässig morgens und abends seine Stunde neben dem Fahrrad läuft und dann rechtschaffen müde den Tag und die Nacht verschläft. Leider nicht wirklich, denn er will immer wieder hinaus in den Garten, tapst nervös in der Wohnung herum und leckt sich oft hektisch den Bauch. Sein Frauchen hat ein schlechtes Gewissen: Hat ihr Hund nicht ausreichend Auslauf?

Das Chihuahua-Mädchen tippelt dreimal täglich an der Leine durch ihr Stadtviertel. Andere Hunde mag sie nicht. Sie bleibt öfter stehen und lässt sich nur widerwillig weiterziehen. Daheim macht die Kleine Probleme. Sie verbellt jedes Geräusch, verkriecht sich unter die Couch und manchmal lässt sie auch ein paar Tropfen Urin unter sich. Auch Gipsys Leute sind ratlos. Sind drei Gassigänge nicht genug?

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Höre auf dein Bauchgefühl

Und da ist auch noch der Border Collie, der von Anfang an viel Bewegung bekam. Er war in der Welpenspielstunde, absolvierte die Begleithundeprüfung und ist enthusiastischer Rettungshund. Zweimal pro Woche trainiert er Trümmersuche, einmal geht er ins Agilitytraining, am Wochenende stehen Bergwanderungen an und seit er sich als guter Treibhund gezeigt hat, übt er fleissig Treibball. Trotzdem ist er immer aufgeladen, bellt hysterisch, wenn er den Hundeplatz sieht, lässt seine Leute daheim nicht aus den Augen und umkreist beim Spaziergang nervös seine Familie. Reicht ihm die Bewegung immer noch nicht?

Viele Hundehalter lassen sich von den unterschiedlichen Infos im Netz und den klugen Sprüchen anderer verunsichern. Statt dem eigenen Bauchgefühl und den Signalen des Hundes zu folgen, stellen sie Stundenpläne auf und addieren Kilometer und Minuten.
Das kann sinnvoll sein, bei den meisten Hunden ist es das aber nicht. Denn wie viel Bewegung ein Hund braucht, hängt von vielem ab, wie etwa dem Alter.
Bis die Knochenfugen zusammengewachsen sind, sollten Welpen und Junghunde keine längeren Laufstrecken absolvieren. Neben dem Rad oder dem joggenden Menschen herlaufen ist also tabu. Doch die alte Regel, pro Lebensmonat fünf Minuten Bewegung ist längst wissenschaftlich widerlegt.
Prof. Dr. Dr. h. c. Martin Fischer, der die Entwicklung des Hundegangwerks intensiv untersucht hat, rät, den Welpen springen und laufen zu lassen, solange er das ohne Aufforderung freiwillig tut. Setzt er sich dazwischen auf den Po, gähnt oder hechelt, ist Schluss mit Toben. Das Spielen mit anderen Hunden und das übermutige Herumspringen festigt Gelenke, Muskeln und fördert den Knochenaufbau. Bei Hunden die als Erwachsene gross und / oder schwer werden, ist die Abwechslung zwischen Laufen in allen Gangarten und Spieleinlagen noch wichtiger. Hier gilt es aber genau hinzuschauen, wann sich erste Ermüdungsanzeichen zeigen, und dann den Gassigang zu stoppen.

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Ähnliches gilt für die Rentner unter den Vierbeiner. Wenn sich das Alter bemerkbar macht, lässt der Bewegungsdrang nach, das Schlafbedürfnis steigt. Anders als Welpen und Jungtiere bemühen sich betagte Hunde allerdings, das zu verbergen und weiter die Anforderungen zu erfüllen, die aus Hundesicht von ihnen erwarte werden. Schraube also Tempo und Laufzeiten herunter, wenn du merkst, dass dein Oldie merklich langsamer wird und häufiger stehen bleibt.

Genetik spielt mit

Ausgewachsene gesunde Hunde haben bis zu ihrem achten bis zehnten Lebensjahr das stärkste Bewegungsbedürfnis. Sie dürfen sich auspowern, beim Schwimmen, bei Wettrennen mit anderen, Rangeleien mit Artgenossen oder im Sport. Erlaubt und gewünscht ist alles, was den Hunden sichtlich Spaß macht. In der Regel also das, wofür sie einst gezüchtet wurden. Workaholics wie Border Collie, Australian Shepherd und die meisten anderen Hütehunde suchen die Kooperation mit dem Menschen und die Herausforderung an Aufgaben. Deshalb glänzen sie beim Hundesport und allen Arbeiten, bei denen der Mensch anzeigt, was er von ihnen wünscht. Das können lustige Hundetricks sein, Gehorsamsübungen, Ballspiele aller Art. Der Körperbau verrät, dass sie auf Ausdauer angelegt sind. Sie sollen und dürfen Langstrecken bewältigen. Jagdhunde sind genetisch auf die Suche, das Finden (und Stellen) sowie das Bringen von Beute programmiert. 
Auch von ihnen wurden einst Ausdauer und Höchstleistungen verlangt. Austoben können sie sich bei langen Spaziergängen, beim Suchen versteckter Gegenstände oder Personen, und natürlich beim Apportieren.
Ganz anders die Wach-, Hof- und Herdenschutzhunde. Sie sollten nie ihre Herde bzw. das Zuhause verlassen, sondern dafür sorgen, dass kein Mensch oder Tier unangemeldet den Schutzbefohlenen zu nahe kommt. Diese Hunde machen zwar lange Spaziergänge mit, allerdings in gemässigtem Tempo. Sie sind aber auch glücklich, wenn sie durchs erweiterte Revier, sprich: den Garten, die Wege rund ums Haus oder innerhalb des Stadtviertels stromern können.

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Aufgaben im Fokus

Terrier und ihnen ähnliche Rassen wie etwa der Dackel (ein Erdhund) sollten früher eigenständig arbeiten und sind deshalb gar nicht so scharf auf die Zusammenarbeit mit dem Menschen.
Viele nennen das stur oder dickköpfig, dabei ist es nichts anderes als die vererbte Veranlagung zur selbstständigen Entscheidung. Solche Hunde gehen gern ihre eigenen Wege im selbst gewählten Tempo, Schnüffeln und Buddeln inklusive. Dadurch kann sich ein Spaziergang von wenigen Kilometern ordentlich in die Länge ziehen.
Eine Sonderstellung nehmen die Gesellschafts- und Begleithunde ein, Mops und Co., Chihuahua und Papillon und alle kleinen Bichons. Die machen alles mit, so weit es ihre körperliche Konstitution zulässt. Hauptsache, sie sind ihren Menschen nahe. Sie schmusen mit der gleichen Hingabe auf der Couch, wie sie sich draussen an die Fersen derer heften, die sie lieben.

Die Qualität zählt

Diese Beispiele zeigen, dass nicht die Quantität der Bewegung zählt, sondern die Qualität. Dass Beschäftigung genauso wichtig ist wie Bewegung, vielleicht sogar noch wichtiger. Alle unsere Hunden hatten früher Aufgaben und Pflichten, denen sich nachgehen mussten. Dabei spielte nicht nur körperliche Fitness eine Rolle, sondern auch das Denkvermögen. Das hat sich nicht geändert. Vergesse deshalb einfach, auf die Uhr zu schauen. Schaue lieber auf deinen vierpfotigen Begleiter. Und gestalte seinen "Arbeitstag" so, dass er mit deinem verträglich ist. Lasse ihm beim Gassigehen die Chance, ausgiebig zu schnüffeln und so Informationen über die Hundeszene in seiner Umgebung einzuatmen.
Gebe ihm Aufgaben, die seiner Rasse entsprechen. Schmuse mit ihm, wenn er das geniesst. Lege flotte Spielrunden ein, statt "nur" Kilometer zu bewältigen. Schenke ihm - vorausgesetzt, das mag er - die Möglichkeit, Kontake zu Artgenossen aufzunehmen und mit ihnen zu rennen oder zu rangeln. Das füllt seinen Tag mehr als aus.

Hunde die ausreichend beschäftigt werden, sind glückliche Hunde. Wenn sie dabei weder unter- noch überfordert werden. Und wenn sie von klein auf lernen, runterzufahren, Ruhepausen einzuhalten. Viele Hunde tun das von sich aus, doch die eifrigen Arbeiter müssen es lernen. Lege deshalb jeden Tag mindestens viermal eine Stunde "Pause" ein. 

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Während der Hund sich an seinen Rückzugsort, das Hundebett oder eine Decke (es darf auch die Couch sein) begeben und relaxen soll, ignoriere Versuche, deine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Am besten entspannst du mit ihm. Je temperamentvoller und enrgiegeladener dein Vierbeiner ist, desto wichtiger sind die Mussestunden. Andernfalls heizen sich die Arbeitshunde so stark auf, dass sie zu hysterischen Nervenbündeln werden. Sie überfordern sich selbst und das sollest du verhindern. Leider ist es nicht so, dass über- und unterforderte Hunde das deutlich zeigen. Es sind die versteckten Zeichen, anhand derer du erkennen kannst, dass etwas in der Life-Balance nicht stimmt. Zeichen, die auf beides hindeuten. Dann gilt es, Anforderungen herunterzuschrauben oder ihm ein paar zusätzliche Pflichten aufzuerlegen.

Jedem das Seine

Der Vizsla-Rüde ist trotz der zweistündigen Fahrradrunden unterfordert und macht das durch auffälliges Verhalten deutlich. Weniger monotones Laufen, dafür ein paar Suchaufgaben, würden sein Leben aufwerten.
Auch die kleine Chihuahua-Dame geniesst ihre Leinengänge nicht wirklich. In ihr winziges Köpfchen geht eben mehr, als ihr die meisten zutrauen. Sie könnte in vertrauter Umgebung Tricks lernen, könnte tanzen und ihre Klugheit an Intelligenzspielzeugen beweisen. 
Während der Border Collie, der Superdog, der alles lernt und beherrscht sich selbst hoffnungslos überfordert, gar nicht mehr zur Ruhe kommt und seinen Herzschlag ständig auf Anschlag bringt. Sein Pensum muss dringend heruntergefahren werden, er braucht Zwangspausen, bis er diese von sich aus sucht und geniesst.

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